«Vorbildliche Unternehmen setzen den Fokus auf das gewünschte Ergebnis statt auf die Präsenz»
Unsere Arbeitswelt verändert sich. Viel schneller als bisher angenommen. Wie gehen wir als Unternehmen mit den neuen Arbeitsformen, -räumen, -instrumenten und -abläufen um? Und wie bleiben wir produktiv, effizient und erfolgreich? Wir haben bei Barbara Josef, einer ausgewiesenen Expertin auf diesem Gebiet, nachgefragt.
Frau Josef, viele von uns erleben seit einigen Monaten hautnah mit, was Arbeiten im Home Office bedeutet – ob als Arbeitgeber oder Arbeitnehmer. Während einige das heimische Büro längst satt haben, würden es andere am liebsten gar nie mehr verlassen. Was haben Sie so gehört und mitbekommen?
Was das persönliche Fazit betrifft, hängt das sowohl von der familiären Situation, den Arbeitsinhalten als auch den persönlichen Präferenzen ab. Ein eher positivstes Fazit in Bezug auf die Arbeit im Home Office ziehen Personen, die zu Hause einen abgetrennten Raum haben, keine kleinen Kinder betreuen müssen und welche sich mit dem Vermischen von Arbeit und Freizeit wohlfühlen – die sogenannten “Integrierer”, was die Boundary-Management-Präferenz betrifft. Besonders schwierig ist es hingegen für Personen, die alleine wohnen, schlecht integriert sind und die sich eine klare räumliche und zeitliche Trennung von Arbeit und Freizeit wünschen – die sogenannten “Separierer”.
Die Frage, wer nun die Arbeit im Home Office toll findet und wer nicht, ist aber nicht der spannende Aspekt in dieser Diskussion. Viel interessanter ist die Tatsache, dass wir in den vergangenen Monaten quasi alle unfreiwillig an einem Massenexperiment teilgenommen haben – jede/r musste sich mit neuen Arbeitsformen, -räumen, -instrumenten und -abläufen auseinandersetzen, ob er/sie dies nun wollte oder nicht. Dabei haben wir auf sehr konkrete Weise beide Seiten der Medaille kennengelernt.
Diese persönlichen Erfahrungen wirken viel stärker und verbindlicher als irgendwelche inszenierten Change-Management-Aktivitäten oder Weiterbildungen. Wir haben plötzlich ein Bewusstsein für die Frage entwickelt, was gute Arbeit und Zusammenarbeit ausmacht und was uns gut tut. Das ist die ideale Grundlage dafür, um die Rahmenbedingungen für die neue Arbeitswelt auszuhandeln. Ich nenne das bewusst “aushandeln” – es geht darum, individuelle Bedürfnisse aufeinander abzustimmen und mit den Anforderungen der Organisation in Einklang zu bringen.
Liegen wir mit unserer Einschätzung richtig, dass es wohl in den meisten Schweizer Unternehmen vorläufig zu einem gutbürgerlichen Kompromiss oder hybriden Ansatz aus Arbeiten im “normalen” Büro und Home Office kommen wird?
Kompromiss klingt etwas resigniert; ich sehe es eher als Weiterentwicklung der bisherigen Zusammenarbeit. Wenn Unternehmen ihren Mitarbeitenden mehr Autonomie in Bezug auf die Gestaltung ihrer Arbeit gewähren, so wirkt sich dies motivierend auf diese aus und sie werden es mit noch mehr Engagement “zurückzahlen”.
Ich bin selbst in so einer Kultur “grossgeworden”. Schon vor über zehn Jahren konnten wir bei Microsoft frei wählen, wann und wo wir arbeiten und mich haben diese Rahmenbedingungen enorm beflügelt und angespornt. Jetzt stellen sich viele vor, dass dann keiner ins Büro kommt – in einer funktionierenden Gemeinschaft ist das jedoch ein völliger Trugschluss. Bei mir war das Gegenteil der Fall, ich war die meiste Zeit im Büro, weil ich mich da sehr wohl gefühlt habe. Aber wenn ich beispielsweise am Nachmittag mal kein Meeting hatte, ging ich zwischendurch kurz joggen – in einer “normalen” Kultur würde sich niemand getrauen, um 15.00 Uhr die Laufschuhe anzuziehen und sich mal kurz auszuklinken. Umgekehrt gab es häufig Situationen, wo es sehr wichtig war, schnell zu reagieren, auch ausserhalb der klassischen Bürozeiten, zum Beispiel wenn vom Hauptsitz in Seattle aus Neuigkeiten kommuniziert wurden.
Für mich ist ein gesundes “Geben und Nehmen” die Grundvoraussetzung für den Erfolg in der neuen, hybriden Arbeitswelt. Nur wenn sich sowohl Organisationen als auch Mitarbeitende auf “neue Deals” einlassen, lassen sich Veränderungen zum Wohl der Organisation und der Mitarbeitenden erzielen. Das klingt banal, ist es aber nicht. In meinen Augen liegt der Grund, warum sich flexible Arbeitsformen in der Vergangenheit nicht stärker durchgesetzt haben, auch darin, dass sich einzelne Mitarbeitende einseitig an dieser Flexibilität bedient haben, und ihren eigenen Beitrag nicht reflektiert haben. Aus dieser Negativspirale können wir jetzt ausbrechen und wir haben in den letzten Monaten den Beweis erlebt, dass es funktioniert.
Versetzen wir uns kurz in die Rolle des Chefs eines Schweizer KMUs: Wie stellt er sein Unternehmen auf, um in einer hybriden Arbeitswelt erfolgreich zu bleiben? Oder anders gefragt: Wie sehen funktionierende, hybride Organisationen aus?
Zuerst möchte ich den Begriff “hybrid” kurz klären. Die letzte Frage suggeriert, dass hybrid meint, dass ein Teil der Wissensarbeiter im Büro arbeitet und ein Teil zu Hause. Unter hybrid verstehe ich jedoch, dass ein Teil der Organisation in die Herstellung von Gütern oder Dienstleistungen involviert ist, die eine physische Präsenz am Arbeitsort voraussetzen und ein anderer Teil kann ortsunabhängig arbeiten. Die SBB oder Migros sind gute Beispiele für solche Organisationen. Nicht nur, weil die Beschreibung zutrifft, sondern auch, weil sie mit dem Thema vorbildlich umgehen. Vorbildlich heisst für mich, dass man für jedes Tätigkeitsprofil ideale Rahmenbedingungen schafft und den Fokus auf das gewünschte Ergebnis setzt, statt auf die Präsenz. Das klingt nach gesundem Menschenverstand und trotzdem hört man immer wieder Aussagen wie “Home Office ist bei uns nicht erlaubt, der Kassierer, Dentalhygieniker oder der Empfangsherr kann ja auch nicht von zu Hause aus arbeiten” (aus Gründen der Einfachheit wird die männliche Sprache verwendet). Das ist – Entschuldigung für die direkte Sprache – nur dumm.
Aber um die Frage nochmals aufzugreifen: erfolgreiche hybride Organisationen zeichnen sich dadurch aus, dass man für jedes Aufgabenprofil die idealen Rahmenbedingungen definiert und gleichzeitig auch sicherstellt, dass das Wissen zwischen verschiedenen Bereichen erfolgreich zirkuliert und so die Organisation schnell auf Herausforderungen und Chancen eingehen kann. Um das sicherzustellen, haben wir technologische Hilfsmittel, die uns Verbundenheit und Austausch ermöglichen, auch wenn wir nicht immer alle synchron am gleichen Ort zusammenarbeiten. Im Gegenteil, diese Instrumente wie beispielsweise Microsoft Teams oder Yammer ermöglichen Dinge, die es in der Geschichte der Arbeit noch nie gab: dass alle mit allen verbunden sind und jeder eine Stimme hat, bzw. Ideen und Gedanken teilen kann.
Bleiben wir in der Rolle des Chefs: Wie führt er Angestellte, die vermehrt oder mehrheitlich im Home Office arbeiten und er nur noch gelegentlich persönlich trifft?
Diese Frage beinhaltet zwei wichtige Aspekte: zum einen die Koordination und zum anderen die Fürsorgepflicht. Was die Koordination betrifft, ist es wichtig, sich im Team gut über die einzelnen Verantwortungsbereiche und deren Überlappung abzustimmen. Je stärker Teams verteilt arbeiten, desto wichtiger ist es, die sogenannte “Aufgabeninterdependenz” tief zu halten, d.h. sicherzustellen, dass die Mitarbeitenden einen Teil ihrer Arbeit autonom verrichten können und nicht zu stark von anderen abhängig sind.
Genau dieser Aspekt war in den letzten Monaten für die meisten Unternehmen eine Herausforderung, da sie schlagartig auf verteiltes Arbeiten umstellen mussten und im Krisenmodus die Zeit fehlte, zu hinterfragen, wie man die Zusammenarbeit sinnvoller gestalten könnte. Sinnvoller bedeutet, die Arbeit so zu gestalten, dass jeder seinen Verantwortungsbereich hat, wo er relativ autonom agieren kann und wo die erzielten Ergebnisse im Fokus der Leistungsbeurteilung stehen, nicht der Arbeitsort oder die Arbeitszeit. Natürlich braucht es darüber hinaus auch Koordinations- und Kommunikationsprozesse – diese stellen sicher, dass “das grosse Ganze” nicht aus dem Fokus gerät und Wissen zwischen den einzelnen Bereichen möglichst gut zirkuliert, damit die Organisation beweglich bleibt.
Das zweite Thema ist die Fürsorgepflicht. Es ist viel schwieriger zu erkennen, ob es jemandem gut geht, wenn wir uns fast nur in virtuellen Meetings begegnen und wir uns nicht mit allen Sinnen wahrnehmen. Natürlich lässt sich die persönliche Nähe auch mit der besten Technologie nicht ganz kompensieren, aber das gezielte Einplanen von Reflexionsräumen, sei es im persönlichen Gespräch oder im Team Meeting, hilft bereits. Ein einfacher Tipp sind “Check-in Fragen” wo man zu Beginn eines Meetings eine Frage in den Raum stellt, zu der sich alle kurz äussern. Zum Beispiel “ein Wort zu deiner letzten Woche” bis hin zu etwas wilderen Fragen wie “was würdest du machen, wenn du einen Tag lang unsichtbar wärst?”. Bei Meetings mit vielen Teilnehmern kann man diese Stimme auch mit Menti.com, Whiteboards oder ähnlichen Formaten abholen. Diese kleinen Rituale helfen uns, auch dem Menschlichen Raum zu geben.
Darüber hinaus habe ich grossen Respekt vor Führungskräften, die auch ihre eigene Unsicherheit und Verletzlichkeit zum Thema machen – indem sie dies tun, zeigen sie, dass wir nicht Maschinen sondern Menschen sind, die nicht immer per Knopfdruck funktionieren. Je mehr auch das persönliche Befinden Platz hat in unserer Zusammenarbeit, desto besser gelingt es uns, gemeinsam durch schwierige Zeiten zu kommen und uns zu unterstützen.
Sehen Sie auch Grenzen, also Bereiche wo die virtuelle Zusammenarbeit nicht funktioniert oder grosse Nachteile hat?
Ja natürlich. In meinen Augen leiden bei längerer, fast ausschliesslich virtueller Zusammenarbeit zwei Themenbereiche stark, wenn wir uns nicht gezielt um diese kümmern. Zum einen die Innovationsfähigkeit und zum anderen das Gefühl der Zugehörigkeit zu einer Gemeinschaft. Sie leiden deshalb, weil uns momentan zufällige Begegnungen, gemeinsame Erlebnisse – auch mit Kunden und Partnern – sowie der informelle Austausch fehlen.
Ich denke nicht, dass digitale Instrumente diese Dinge ganz kompensieren können. Indem wir jedoch die Methodenkompetenz der Mitarbeitenden stärken und gezielt Vernetzungs- und Austauschformate schaffen, können wir dem Stillstand entgegenwirken. Mit Vernetzungs- und Austauschformaten meine ich nicht nur Videokonferenzen, sondern auch Enterprise-Social-Networking-Plattformen wie Yammer oder Slack, wo man auch sehr niederschwellig Ideen, Tipps, Links oder Fotos teilen kann und quasi gemeinsam laut denken kann. Diese Plattformen sind in vielen Aspekten sogar besser als physische Treffen, weil viel mehr Menschen involviert werden können, Wissen sichtbar gemacht wird und die Mitarbeitenden selbst entscheiden können, wann für sie der beste Zeitpunkt ist, um sich in diesen virtuellen Räumen einzubringen.
Was das Gefühl der Zugehörigkeit und das Gemeinschaftsempfinden betrifft, bin ich extrem positiv überrascht, wie viel Nähe trotzdem möglich ist, wenn man sich Zeit nimmt für das Persönliche. Darüber hinaus hilft es in der aktuellen Situation, wenn Organisationen mehr nach innen kommunizieren als sonst, damit sich die Mitarbeitenden nicht allein gelassen fühlen. Das muss gar nicht immer ein ausführlicher Newsletter sein. Ein kleines Dankeschön zu einer positiven Kundenrückmeldung, eine Video-Nachricht des CEOs, ein kleines Präsent per Post, ein Like auf der Enterprise-Social-Media-Plattform, ein Bild auf der Intranetseite etc. genügen oft schon.
Schliesslich wäre da noch das grosse Thema des effizienten bzw. produktiven Arbeitens im Home Office – oder eben auch nicht. Reicht es hier an die Selbstdisziplin der Arbeitnehmenden zu appellieren? Oder anders gefragt: Wie stelle ich als Arbeitgeber die Effizienz und Produktivität in einer hybriden Arbeitswelt sicher?
Hier sind zwei Dinge wichtig: zum einen, dass wir über die gewünschten Ergebnisse sprechen und es den Mitarbeitenden überlassen, wie sie zu diesem Ergebnis kommen bzw. ihnen vertrauen, dass sie ihr Bestmögliches geben. Denn je stärker mir eine Person vertraut, desto mehr werde ich alles daran setzten, sie nicht zu enttäuschen – dass dieser “Vertrauensvorschuss” wirkt, konnte in der Arbeitspsychologie eindrücklich nachgewiesen werden.
Zweitens ist es wichtig, die persönliche und fachliche Entwicklung der Mitarbeitenden gezielt zu fördern. Ich plädiere nicht für eine riesige Weiterbildungspalette, sondern ganz konkrete Unterstützung im Alltag, um beispielsweise digitale Basiskompetenzen gezielt zu fördern, so dass sich die Mitarbeitenden mit Fragen und Unsicherheiten nicht allein gelassen fühlen. In meiner “rosaroten Welt” findet Lernen in Zukunft in Form von Marktplätzen statt, wo Mitarbeitende, die über spezielle Kompetenzen oder Leidenschaften verfügen, andere dabei unterstützen, die diese brauchen. Das ist ein zentraler Erfolgsfaktor, um mit einer herausfordernden Veränderungsdynamik erfolgreich umgehen zu können.
Barbara Josef ist Co-Founder von 5to9 AG, einem Unternehmen, dass Teams und Organisationen dabei unterstützt, fit für das digitale Zeitalter zu werden. Zuvor war Barbara Josef, die Wirtschaftswissenschaften studiert und zum Thema Business Innovation promoviert hat, unter anderem Leiterin Kommunikation und Mitglied der Geschäftsleitung von Microsoft Schweiz. Ihre grösste Leidenschaft gilt dem Thema “Zukunft der Arbeit” und sie ist Mitgründerin des Home Office Days (heute Work Smart Initiative).
Soweit unser Interview mit Barbara Josef. Und die hybride Arbeitswelt ist da, um zu bleiben. Dies zeigen die Resultate einer kürzlich durchgeführten Studie im Auftrag von Microsoft, die hier in einer Illustration zusammengefasst wurden. Weitere Informationen erhalten Sie in der ausführlichen Studienauswertung.